Marburg hat sie geprägt: Im Gespräch mit Moderator Thomas Koschwitz (r.) erinnerten sich bei der Gala prominente (Ex)Marburger*innen ganz persönlich an ihre prägende Zeit in der Stadt - hier Tatort-Gerichtsmediziner, Arzt, Autor und Schauspieler Joe Bausch (Foto: Georg Kronenberg, i. A. Stadt Marburg)
30.03.2022
Sabine Preisler
Mit Prominenz von Joe Bausch über Nina Kronjäger bis Ministerpräsident Ramelow

Vorhang auf für Stadtjubiläum: 6000 Zuschauer*innen verfolgen große Gala - jetzt als Aufzeichnung ansehen

Marburg. Große Bühne und große Namen: Vorhang auf für das Stadtjubiläum hieß es jetzt in der Universitätsstadt Marburg pünktlich zum Tag der Ersterwähnung als Stadt vor 800 Jahren. Mit fast 6000 Zuschauer*innen im Livestream einer abwechslungsreichen Jubiläumsgala ist Marburg am Abend zugleich erfolgreich und unterhaltsam in das Jubiläumsjahr gestartet.

Rund 200 Top-Events und Marburg800-Veranstaltungen zum 800. Stadtgeburtstag erwarten jetzt und bis zum Jahresende die Marburger*innen und ihre Gäste, am besten aus der ganzen Welt.

Aufzeichnung in voller Länge, Bildergalerie und Bericht jetzt verfügbar, unten sehen Sie eine Auswahl der Bilder, weitere ebenfalls über diesen Link

Denn dass Marburg für Vielfalt steht, darauf stimmten am Montag ein bestens aufgelegter Moderator und insgesamt 20 prominente (Ex)Marburger*innen ein, die mittels ganz persönlicher Erinnerungen an die prägende Marburg-Zeit ihres Lebens für kurzweilige zweieinhalb Stunden sorgten. Übertragen wurde die Sendung mit professioneller Licht- und Bühnentechnik, Einspielern und attraktiven Kulissen von der Elisabethkirche bis zum schummerigen Kneipenatmosphäre von der Bühne des Erwin-Piscator-Hauses direkt ins Internet. Wer die Sendung verpasst hat, kann diese jederzeit auf www.marburg800.de in voller Länge sehen.

Konfettiwirbel in den Stadtfarben zum 800. Geburtstag. (Foto: Kronenberg, i. A. Stadt Marburg)

 

Humorvoller Moderator Koschwitz bestens aufgelegt: „Marburg lebt von Leuten, die hier geboren wurden oder die wichtigste Zeit ihres Lebens verbracht haben“

Humorvoll zeigte sich dabei nicht nur Radio- und Fernsehprofi Thomas Koschwitz, der für die Stadt Marburg durch das Programm führte und mit dem „Heimvorteil“ von selbst 30 Jahren Lebenserfahrung Marburg den extra angereisten Gästen auf der Bühne so manches spannende Detail entlockte. Die Regie lag bei Theaterfrau Katharina Birch, für die Organisation zeichnete die Stadt mit ihrem Jubiläumsbüro Marburg800 verantwortlich.

Gerne blickten die prominenten Gäste auf ihre Marburg-Zeit zurück, das war zu spüren. „Denn Marburg lebt nicht nur von seinen Gässchen, sondern vor allem auch von den Leuten, die hier geboren wurden oder die wichtigste Zeit ihres Lebens verbracht haben“, lud Koschwitz zum Auftakt ein.

Wie Arzt, Autor und Tatort-Gerichtsmediziner Joe Bausch, der einst zum Studium nach Marburg kam, die Szenekneipe „Destille“ führte, den „place to be“, wie es der spätere Gefängnisarzt nannte und in seinen „wilden Marburger WG-Zeiten“ vergebens den Versuch unternahm, für ein Verkehrsdelikt ins damalige Gefängnis in der Wilhelmstraße einzufahren. Die Idee: dort „wahnsinnig tolle Begegnungen zu haben“. Die Zeit in Marburg habe ihn stark politisiert. „Du brauchst eine Haltung“, das habe sein Leben geprägt.

Abwechslungsreich: persönliche Erinnerungen von bekannten (Ex)Marburger*innen

Ein Charakterzug, den auch Verena Bentele, zwölffache Paralympics-Siegerin am Abend schlagfertig mit Marburg in Verbindung brachte. Denn diesen braucht die heutige Präsidentin des VdK, die an der Blindenstudienanstalt in Marburg das Abitur ablegte. Sie hob wie später in einer Videobotschaft der in Marburg geborene Welterforscher Willi Weitzel aber auch Marburgs „Kneipendichte“ als echten Standortvorteil hervor. Der „Schnee“, das war das einzige, was der Wintersportlerin schließlich fehlen sollte. Sportlich ging es auch mit Kickbox-Weltmeisterin Jaana Bohr (geb. Hein) weiter, was die gebürtige Marburgerin mit Moderator Koschwitz demonstrierte. Für sie ist die Stadt ein Ruhepol: „Wenn ich aus dem Ausland komme und das Schloss sehe, wird mir warm ums Herz.“

Galagäste: Ministerpräsident Bodo Ramelow (l.) mit Thomas Koschwitz (Foto: Kronenberg)

Als „Frau des Wortes“ saß Theologin Dr. Margot Käßmann bei der Gala mit Journalistin Prof. Dr. Bascha Mika auf der Couch. Marburg sei eine Stadt, die Vielfalt einfach lebe, so die gebürtige Marburgerin, die an der Elisabethschule „eine sehr gute Bildung mitgenommen hat“, im indischen Kleid im letzten Semester zum Marburger Standesamt schritt und neben launiger Einblicke auch Ernsthaftigkeit mit der Stadt verbindet. Sie hob das Marburger Religionsgespräch hervor, weil dessen Ansatz „zwei gegensätzliche Parteien an einen Tisch zu bringen“ genau das sei, was die Welt für Friedensgespräche heute so dringend brauche.

Um politisch prägende Zeiten ging es auch im Gespräch von Moderator Koschwitz mit Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, der in Marburg in Einzelhandel erst als Substitut dann als Leiter der Ausbildung zum Einsatz kam und dort jeweils „alle in die Gewerkschaft holte“. Die Friedensaktivitäten, der Kampf gegen Berufsverbote, die Debatte um die Rolle der Wehrmacht oder ein Deserteursdenkmal – all dies habe ihn als Gewerkschaftssekretär in Marburg sehr geprägt. Und die frühe Städtepartnerschaft zwischen Marburg und Eisenach habe letztlich dazu geführt, dass er Ministerpräsident im Nachbarland geworden sei. Zu Ramelows ganz persönlichen Marburg-Erinnerungen gehört aber auch, dass hier an den Kaufmännischen Schulen seine „Legasthenie“ erkannt wurde, sich damit völlig neue Bildungswege öffneten und er in Marburg ein Einser-Abi in Deutsch ablegen konnte.

Und Jantje Friese, erfolgreiche Drehbuch-Autorin der Netflix-Serie „Dark“, sieht ihre spätere Arbeit ebenfalls durch die Jubiläumsstadt geprägt, wenngleich in ganz anderer Art und Weise. Die gebürtige Marburgerin, wie Kabarettist Michael Frowin auf der Bühne neben ihr, seit langem weggezogen, reizte schon immer auch die Frage: „Was hinter den Türen der Kleinstadt, des Schönen passiert“. Inspiriert wurde sie dafür schon als Kind und Jugendliche in den vielen Kinos der Stadt.

Geboren in Marburg: Das ist für Schauspielerin Nina Kronjäger, die zuletzt im Kölner Jubiläumstatort überzeugte, eine wichtige wie äußerst positive Erfahrung. Ihre Eltern gründeten mit Freunden Ende der 60er Jahre einen der ersten Kinderläden der Stadt. „Unsere Eltern haben studiert, leisteten dort aber auch selbst Erziehungsarbeit, und zwar Mann und Frau“, erzählt sie vom Spielen in der Mensa und an der Lahn. „Ich wollte nicht weg, für mich war die Kindheit in Marburg das Paradies.“

„Marburg ist schon toll“, betonte auch Nkechi Madubuko, gebürtige Marburgerin, Moderatorin, Diversity-Trainerin und bei Viva einst erste schwarze Frau in der vordersten Fernsehreihe. Und das hat für sie einen guten Grund, die Arbeit gegen Populismus, die sie selbst mit der Kampagne „Wir sind Marburg“ zu ihrer Sache gemacht hat.

Und auch wenn das Geburtstagslied für die Stadt selbst erst zum Abschluss des Abends fröhlich mit „Happy“ von der Blista-Band „BlindGold“ zusammen mit Nele Schüßler erklang, sorgte ein spontanes Ständchen für Geburtstagskind Madubuko schon vorab für herzliche Gala-Stimmung. Mit Lukas Rommelspachers Myrthen Opus 25 von Schumann und Yana Gerckes Band „Say“ mit „Addict“ wurden auch die weiteren musikalischen Akzente des Abends bewusst von Marburger*innen gesetzt.

Marburg-Prägung: „Man braucht eine Haltung“

Herzliche Worte verbunden mit einem eindringlichen Appell, richtete bei der Gala Marburgs wohl prominentester Honorarprofessor per Video an die Zuschauer*innen. „Für mich ist Marburg das Harvard Mittelhessens“, gratulierte Eckart von Hirschhausen der Jubiläumsstadt und verband damit „vielfältigste kreative Köpfe auf engem Raum“, beste Voraussetzung für den Austausch, der angesichts der Klimakrise so nötig sei, um weitere 800 Jahre Marburg zu erleben. „Lassen Sie uns den universellen Geist aus Marburg in die Welt tragen. Lassen Sie uns dafür immer einen Extra-Schritt wagen.“

Ebenfalls mit Zukunftsfragen und mit der Hilfe für Menschen befasste sich bei der Jubiläumsgala eine Runde, deren Vertreter – wie es Koschwitz nannte – „als Ritter im Kampf gegen die ganz Kleinen“, also gegen Viren gelten könnten. Zweimal sei Marburg in die Weltpresse gelangt, einmal in der Geschichte mit dem „Marburg-Virus“, einmal mit dem BionTech-Impfstoff gegen Corona, moderierte er diese Gespräche an.

Mit Virologe Prof. Dr. Stephan Becker, Leiter des entsprechenden Instituts an der Uni Marburg, Prof. Dr. Jürgen Schäfer, dem deutschen „Dr. House“ und Leiter des Zentrums für seltene Krankheiten am Marburger Klinikum, sowie mit Dr. Lutz Bonacker und Dr. Martin Vey – beide führende Köpfe des Behring-Nachfolgeunternehmens CSL – ging es in der hochkarätigen Runde um Marburg als Standort für die Entwicklung von Impfstoffen, Medikamenten, Diagnose und Forschung. „Es gibt fünf Millionen Menschen mit seltenen Erkrankungen. Das ist mit Blick auf die Bevölkerung viel, viele Parteien wären froh, wenn sie diese fünf Prozent Wähler hätten“, ging Schäfer bei all dem der Humor nicht verloren.

Im Gespräch auf der Bühne im Erwin-Piscator-Haus (v. l.): Thomas Koschwitz, Nina Kronjäger, Michael Frowin und Jantje Friese. (Foto; Kronenberg, i. A. Stadt Marburg) 

Und auch beim „Marburgtest“ für die „Zugereisten“ Andreas Bartsch, Sparkassen-Vorstandsvorsitzender Marburg-Biedenkopf, und Claus Duncker, Direktor der Marburger Blindenstudienanstalt, stand die Unterhaltung im Mittelpunkt. Duncker hatte zuvor wie auch VdK-Präsidentin Verena Bentele die Vorbildfunktion von Marburg als Hauptstadt der Blinden hervorgehoben und gelobt.

Dass sich Marburg auch heute als soziale Stadt auf die Heilige Elisabeth bezieht, rief bei der Gala nicht nur Donatus Landgraf von Hessen in Erinnerung. Extra für die Gala wurde mit dem direkten Nachfahren der Elisabeth von Thüringen vorab ein Video in Marburg gedreht. „Sie ist die Stammmutter nicht nur meiner Familie, sondern ein Vorbild für alle“, grüßte er und wünschte „eine prosperierende Zukunft in einer geschichtsträchtigen Stadt“.

Marburger*innen übertreffen sich bei Saalwette für Tafel selbst – weiter spenden

Bevor auf der Bühne und damit auch im Livestream Konfettiwirbel in den Farben der Stadt Marburg auf den weiteren Stadtgeburtstag in die Höhe flogen, lenkten Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies und Sparkassen-Chef Andreas Bartsch, den Blick auf einen anderen Grund zum Feiern. Denn sie hatten gleich zu Beginn der Gala die Marburger*innen zu einer Online-Saalwette herausgefordert. Möglichst schon bis zum Ende der Auftaktveranstaltung sollten 800 Euro für die herausragende Arbeit der Marburger Tafel zusammenkommen. Deren Engagement hatte auch dazu beigetragen, gleich die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine in der Universitätsstadt mit Lebensmitteln zu versorgen. Noch zwei Wochen kann weiter digital gespendet werden.

Über 1800 Euro waren es schon am Montagabend, was Tafel-Vorsitzende Rita Vaupel freuen dürfte. „Wir nehmen die Geflüchteten mit offenen Armen auf“, betonte Spies am Abend. Zugleich sei der Krieg in Europa die Verpflichtung, sich mit der Geschichte und der Zukunft auseinanderzusetzen. Während des Stadtjubiläums stünden neben dem Schwerpunkt „Marburg erleben“ deshalb vor allem „Marburg erinnern“ und „Marburg erfinden“ im Mittelpunkt. Zugleich stehe die Tradition der Heiligen Elisabeth für praktische Hilfe. 

Ihre Tochter Sophie von Brabant wird übrigens zu den insgesamt 8 historischen Persönlichkeiten gehören, welche die 3D-Videoprojektion „Zeitmaschine“ in 800 Sekunden für 8 Jahrhunderte auf dem Rathaus zeigt. Mit diesem Open-Air-Spektakel vom 1. bis 3. April jeweils mit fünf Aufführungen ab 21 Uhr auf dem Marktplatz folgt zum Ende der ersten Jubiläumswoche bereits der nächste Höhepunkt. Der Eintritt ist frei. Unterstützt wird die Veranstaltung von der Sparkasse Marburg-Biedenkopf und ausgerichtet vom Stadtmarketing. Die Sparkasse vor Ort und die Sparkassen-Finanzgruppe hatten als Hauptsponsor bereits die Jubiläumsgala der Stadt gefördert.

Von links Nkechi Madubuko, Margot Käßmann und Bascha Mika gehörten zur Runde "starke Frauen", die Thomas Koschwitz interviewte. (Foto: Kronenberg, i. A. Stadt Marburg)

 


Kickbox-Weltmeisterin Jaana Bohr (geb. Hein) demonstriert Moderator Thomas Koschwitz ihr Metier. (Foto: Kronenberg, i. A. Stadt Marburg)

 

 

 

 

 

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