Das Stadtbild ändert sich schnell, und wir Bewohnerinnen und Bewohner müssen uns fragen, wie das Zusammenleben zwischen den Kulturen, zwischen den Interessengruppen, zwischen den Geschlechtern stattfinden soll. Marburg erfindet sich konstant neu. Vieles ist möglich und das ist gerade spannend.
Mittlerweile wagen immer mehr Ausländerinnen und Ausländer oder eher neue Bewohnerinnen und Bewohner, das Wort „Heimat“ zu benutzen. Es ist ein Stück Aneignung und Ausformung des gemeinsamen Lebensraumes. Es ist die Art zu zeigen, Verantwortung übernehmen zu wollen für die Stadt, in der wir leben.
Von Seiten der Marburgerinnen und Marburger wäre es großzügig, dieses Heimatgefühl mit uns Ausländerinnen und Ausländern zu teilen. Wie in einer Ehe, mit allen Herausforderungen und für „gute und schlechte Zeiten“. Das hat zum Beispiel die Jüdische Gemeinde und der Magistrat der Universitätsstadt Marburg, ohne die Last der Geschichte mildern zu wollen, vor ein paar Jahren getan, indem sie uns Mitgliedern des Ausländerbeirates die Möglichkeit gegeben hat, an der Ausstellung im Garten des Gedenkens 2018 teilzunehmen. Wir wurden gebeten, unsere Gedanken über die Zerstörung der alten Marburger Synagoge durch das Nazi-Regime 1938 in Schriftform niederzulegen. Unsere Gedanken und Zitate waren ein Jahr lang zu lesen in den Zettelkästen im Garten des Gedenkens, wo vor 1938 die Marburger Synagoge stand. Das war für uns der wichtige Ausdruck unserer Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde in Marburg. Heute verstehen wir unsere Teilnahme an der Aktion als Zeichen unserer Akzeptanz hier in Marburg, als Ausländerinnen und Ausländer Teil dieser Heimat zu sein.
2020 war die Islamische Gemeinde Marburg an der Reihe, ihre „persönlichen Erfahrungen mit den Themen Ausgrenzung, Rassismus und der Erinnerung an den Holocaust“ (Link) niederzulegen. Genau dass dies möglich wurde, ist ein Zeichen der Anerkennung und des kulturellen Miteinanders in Marburg. Ein Zeichen, dass wir Menschen mit internationaler Biographie, Menschen mit sichtbaren Merkmalen unseres Nicht-Deutsch-Seins, uns für das gute Miteinander einsetzen können und uns dementsprechend zu Hause fühlen dürfen. Dafür ist der Ausländerbeirat Marburg dankbar. So hat uns die Stadt Marburg gezeigt, dass auch wir Ausländerinnen und Ausländer gebeten werden, uns mit unserer Stadtgeschichte und der neuen Heimat auseinanderzusetzen. Dadurch ist uns klarer geworden, dass auch wir dazu gehören, nämlich zu einer gemeinsamen Heimat, an der wir alle teilhaben. Und für diese Heimat haben wir Gefühle, Anteilnahme und Verantwortung für die Zukunft, ganz im Sinne der drei Mottos unseres Stadtjubiläums „Marburg erinnern, Marburg erleben und Marburg erfinden“.