Susanne Saker befasst sich seit mehreren Jahren mit der Brutalismus-Architektur in Marburg.
07.06.2022
Stadt Marburg/Marburg800
Fotos von Susanne Saker sind noch bis zum 19. Juni am Rudolphsplatz zu sehen

Rau und unverfälscht: Brutalismus-Architektur in Marburg

Das pagodenförmige Hörsaalgebäude auf den Lahnbergen, das ehemalige Postgebäude, das Fernheizwerk oder das Hochschulrechenzentrum – die Fotografin Susanne Schaker ist fasziniert von solchen „Betonmonstern“. Eine Auswahl von Fotografien zur Brutalismus-Architektur in Marburg zeigt sie bis zum 19. Juni im Rahmen des Stadtjubiläumsprojekts Kunst.Labor.Stadt.Platz am Rudolphsplatz. An zwei Tagen wurde die Ausstellung flankiert von der Kunstaktion „Mythos Grill“ von Matthias Schamp.

Für die experimentelle Ausstellung „Marburg brutal“ wurden Fotografie-Drucke mit Makulaturkleister direkt auf die Betonoberflächen rund um den Rudolphsplatz aufgebracht. Sie verbinden so den Platz mit anderen Marburger Bauten aus Beton. Auf solche Bauten hat sich die Marburger Fotografin Saker seit 2016 spezialisiert: „Mich fasziniert die Geometrie dieser Gebäude, und dass sie durch die Fotografie eine ganz eigene Ästhetik entwickeln“, erklärte sie, „Ich mag die Form, ich mag das Raue und Unverfälschte.“

Die Fotografien wollen die skulpturalen Qualitäten solcher Bauten zugänglich machen. Sakers Motive richten den Blick auf die Ästhetik der Gestaltung in Beton. Die Fotografin beschäftigt sich mit Form und Material der Gebäude, und wie sie sich mit der Zeit verändern. Ihre fotografischen Beobachtungen von 2016 bis 20121 dokumentieren auch Veränderungen und Verwitterung. Der Präsentationsort Rudolphsplatz hat mit seinen Geländern, kantigen Formen und dem Brunnen aus Sichtbeton selbst eine Nähe zur brutalistischen Ästhetik.

Die Ausstellung bietet ungewöhnliche Perspektiven auf die Universitätsstadt. Sie entstanden aus dem fotografischen Blick von Susanne Saker, die auf Reisen brutalistische Bauformen schätzen lernte: „Meine Vorliebe für brutalistische Architektur hat sich in London herausgebildet. Dort gibt es brutalistische Bauten ja förmlich an jeder Ecke. Und auch dort sind sie nicht jedermanns Geschmack. So begann ich mich dann auch hier in Marburg mit den sogenannten ,Betonmonstern‘ näher zu beschäftigen.“ Die Kunsthistorikerin Celica Fitz erklärte bei der Eröffnung: „Während die meisten Menschen mit Marburg die Fachwerkbauten der Oberstadt verbinden, interessieren sich Architekten oft besonders für die Formenexperimente moderner Architektur.“

Saker engagiert sich für den Erhalt der vom Zerfall bedrohten modernen Baukultur des Brutalismus. Ihre Arbeiten zeigen die skulpturalen und ästhetischen Qualitäten aus unbekannten Blickwinkeln und öffnen so neue Perspektiven auf die Betonbauten. Sie ist auch Teil der AG BETON, eine der Projektgruppen von .Kunst.Labor.Stadt.Platz.

Susanne Saker lebt und arbeitet in Marburg. Mit ihrer Kamera ist sie weltweit auf der Suche nach Ansichten ungewöhnlicher Architektur, Streetart und Alltagskultur. Ihre Beobachtungen teilt sie auf dem Instagramkanal @brutal_marburg. Für Marburg800 wird im Juli auch ein Bildband erscheinen. Die Ausstellung am Rudolphsplatz ist öffentlich und barrierearm erreichbar.

Zur Eröffnung der Ausstellung, bei der neben den Künstler*innen Katharina Brünink, Nils Böttner und Monika Bunk vom Fachdienst Kultur sowie die Kuratorin Bettina Pelz anwesend waren, gab es eine zweitägige Kunstaktion am Rudolphsplatz: Matthias Schamp lud zu „Mythos Grill“ ein. Die Besucher*innen verwandelten zusammen mit ihm Kartoffeln in Kunstwerke. Bevorzugte Vorbilder dafür waren Baukörper von „Marburg brutal“, es konnten aber auch andere Motive gewählt werden. In seiner Form der künstlerischen Forschung befragt Schamp vor allem Dinge, Situationen und Narrative, die er am Rande des Alltags aufliest. „Der Mythos-Grill ist eine imaginäre Pommesbude“, sagte Schamp. Die Kartoffel-Kunstwerke konnten die Besucher*innen aufessen oder ausstellen – in jedem Fall bekamen sie ein Zertifikat für ihr Kunstwerk ausgehändigt.

Schamp ist Philosoph, seine bevorzugten Erkenntniswerkzeuge sind die Mittel der Kunst. Er hat Kunstgeschichte und Philosophie studiert und arbeitet sowohl als Künstler wie als Kurator, er zeichnet Comics und produziert Hörspiele, ist Schriftsteller und Theoretiker, immer geht es darum, sich schöpferisch-reflektierend mit der Welt auseinanderzusetzen.

 

Hintergrund:

Kunst.Labor.Stadt.Platz ist eine Projekt- und Veranstaltungsreihe, die im Rahmen des Stadtjubiläumsschwerpunktes „Marburg erfinden“ von der AG Kunst am Rudolphsplatz initiiert wurde. Die AG ist Zusammenschluss von Marburger Kunstprojekten und Institutionen, unter anderem des Berufsverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK), der FotoCommunityMarburg, des Institutes für Bildende Kunst, des Marburger Kunstvereins und des Museums für Kunst und Kulturgeschichte mit dem Fachdienst Kultur der Stadt.

 

© Januar 2022 - marburg800